Verbrechen auf der Witthohstraße

Wenn wir heute das gepflegte Sträßlein zum Witthoh wandern, so denken wir kaum daran, daß noch vor 140 Jahren die Straße bis nach Emmingen oder Biesendorf oder Hattingen ohne Wohnplätze war. Es gab keine Höfe an der Straße und keine Wirtschaften. Da war es für einsame Wanderer oft recht gefährlich. 1925 wurde eines der bösen Ereignisse, der Italienermord, in den Tuttunger Heimatblättern geschildert. Weil es aber jetzt gerade 140 Jahre seit jener Bluttat sind, sei im Zusammenhang mit anderen Verbrechen diese Geschichte hier nochmals erzählt.

Die schaurige Geschichte vom “Italienerplatz”
Eine wahrheitsgetreue Überlieferung des rohen Raubmordes
am 8. Dezember 1861 an der Witthohstraße

Wer kennt noch heute von den vielen Bewohnern Tuttlingens droben an der Witthohstraße den “Italienerplatz”? Fast ist diese Bezeichnung vergessen, denn das äußere Bild hat sich im Laufe der Jahrzehnte mannigfach geändert. Es ist auch kein Flurname im eigentlichen Sinn, dort ungefähr, wo heute jene Schutzhütte steht, die vor dem Abstieg ins “Roschdeich” den ersten Alpenblick gestattet, also noch Gewann “Wagenstelle”, aber auf der Seite gegen das Duttental hinunter.

Dort besaß der Tuttlinger Kaufmann Gustav Friedrich Megenhart einen Wald, den er im Frühjahr 1862 aufsuchte. Dabei machte er einen gräßlichen Fund: die Leiche eines jungen Mannes, die schon einige Monate gelegen hatte. Der 45jährige Tuttlinger, der Bruder des damaligen Apothekers, wohnhaft in der Schaffhauser Straße 13, ging erschüttert zur Stadt zurück und meldete, was er gesehen; kränkelte aber von jenem 19. März an und starb schon drei Jahre später.

Der Landjäger Strecker aber machte seine Erkundigungen. Er fand bei dem Toten die Anhaltspunkte, die zur Auffindung der Mörder führten. Wie war es zu dieser schaurigen Tat gekommen? Der Ermordete war ein Südtiroler italienischer Abstammung, mit Namen Chiogna, Steinhauer seines Zeichens, der als Wanderarbeiter bei verschiedenen Bahnbauten diesseits der Alpen tätig gewesen war. Dieser hatte unterwegs andere Arbeiter getroffen, auch italienisch sprechende Südtiroler aus der Nähe von Bozen, aber keine engeren Landsleute. Es waren durchweg arme Schlucker, die der heimische Boden nicht ernähren konnte, und die in der Fremde von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz zogen. So trafen sie sich unterwegs. Seine acht Begleiter entstammten alle dem gleichen Kreis, sahen ihn also mehr oder weniger als Außenseiter an, zumal er als sehr nüchterner und fleißiger Arbeiter es fertiggebracht hatte, sich einige Ersparnisse zusammenzubringen. Aus der Heilbronner Gegend wollten sie weiter nach Schaffhausen. Da führte sie ihr Weg in dem noch eisenbahnlosen Gebiet auch über Tuttlingen. Es war eine bunt gewürfelte Gesellschaft. Da war es einmal die Familie Boso: der 54jährige Vater Franz, seine 42jährige Frau Therese und seine Söhne Viktor (2ljährig) und Antonio (l7jährig). Dazu kamen der 48jährige Baptista Marcon und sein 22jähriger Sohn Anton, der 27jährige Steinhauer Orsolin und der 88jährige Grubenarbeiter Tisott.

Die Armut, ja man kann sagen, das Elend, herrschte bei allen, mußten doch z. B. die Bosos noch einen Teil ihrer ohnedies kümmerlichen Habe zurücklassen, um wenigstens die Mietschulden zu bezahlen. Eugenio Chiogna hatte sich allerdings noch Ende November bei einem Schneider in Hall einen neuen Rock machen lassen und auch bezahlt. Er konnte auch den beiden Marcons ein kleines Darlehen gegen Schuldschein geben. So mutmaßten sowohl die Marcons wie auch die Bosos, daß er noch mehr Geld besitze, sie schätzten es auf 150 Gulden und kamen überein, sich dieses Geldes zu bemächtigen. Orsolin, der ein Handbeil in seinem Gepäck bei sich trug, wurde mit der Ermordung beauftragt. Von Rottenburg an waren sie auf der Landstraße. Das war am 4. Dezember 1861. Die Alten, vor allem auch die Frau, sparten den Jungen gegenüber nicht an Vorwürfen, weil noch immer das Geld nicht herausgeholt war. Sie schufen sich einen besonderen Aktionsplan, aber es klappte nie auf dem Weg über Hechingen und Balingen. Auch ein Vergiftungsversuch kam nicht zur Ausführung. Therese wurde sehr unwillig. Am 6. Dezember übernachteten sie in Hofen und gingen dort erst spät am Vormittag weg, so daß es schon Abend wurde, als sie in Tuttlingen ankamen. Sie nächtigten hier im “Hecht”, Chiogna zahlte Orsolin und Tisott ein reichliches Nachtessen, gab aber dem Franz Boso auf dessen Verlangen kein Geld. Man erkundigte sich nach dem Weg nach Schaffhausen, und als sie die bewaldete Höhe des Witthoh sahen, rief Viktor Boso aus: das ist ein Platz für morgen!

Am Sonntagmorgen, es war der 8. Dezember, zog die Reisegesellschaft bei Tagesgrauen südwärts. Das waldige Gelände, der neblige Tag und die fast menschenleere Straße ließen die Tat reifen. Die Jungen gingen voraus. Die Eltern Boso mit ihrem jüngsten Sohn Antonio und dem alten Marcon kamen erst ein Stück hinterher, um etwaige Schwierigkeiten melden zu können. Als die Höhe erreicht war, kam es zu lebhaftem Gespräch zwischen Chiogna, Boso, Marcon und Tisott, während Orsolin hinter ihnen herging und lauernd auf eine günstige Gelegenheit wartete. Dann schlug er von hinten so kräftig zu, daß Chiogna sofort zusammenbrach. Alle packten ihn und schleppten ihn in den nahen Wald. Aber Chiogna war noch nicht tot. Er kam wieder zu sich und bat um Erbarmen. Als Antwort zertrümmerten sie ihm den Schädel vollends. Der Gerichtsarzt stellte später 49 Teile fest. Die Leiche wurde ausgeplündert, alles was halbwegs von Wert war, wurde eingesteckt. Orsolin legte die Leiche in ein Gebüsch, das Beil an ihre Seite, legte die Arme des Toten in Kreuzesform übereinander, kniete nieder und sprach die Sterbegebete.

Inzwischen gab es eine große Enttäuschung. Man fand keine größere Geldsumme. Das gab neuen Streit. Orsolin und Tisott kehrten von Biesendorf aus nochmals zurück, durchsuchten die Leiche, fanden aber nichts. Schwer enttäuscht trafen sie die andern in der Talmühle und zogen dann nach Schaffhausen weiter. Am 9.  Dezember kamen sie dort an und fanden Arbeit. Als aber am 19. März 1862 der Landjäger Strecker die Leiche durchsuchte, fand er wohl keine Wertsachen mehr, aber Briefe, die an Chiogna gerichtet waren und die Schuldscheine der Marcons. Die Einträge im Tuttlinger Fremdenbuch vom 7. Dezember taten noch ein Übriges, und so wurden alle schon am 25. März gefangen genommen und von Schaffhausen nach Tuttlingen gebracht. Bei Therese Boso hatte man 120 Goldfranken gefunden. War das wohl das nicht aufgefundene Geld? Die Frage konnte nicht geklärt werden. Nach längerem Leugnen haben dann Orsolin und Tisott gestanden, daß sie zusammen mit den zwei anderen Jungen die Mörder seien, von den Alten aber dazu aufgestachelt worden seien.

Erst am 27. März 1863 begannen die Verhandlungen vor dem Geschworenengericht in Rottweil. Nach 35tägiger Verhandlung, die naturgemäß in italienischer und deutscher Sprache geführt werden mußte, kam es zum Urteil am 1. Mai. Orsolin, Tisott, Viktor Boso und Anton Marcon wurden wegen Mordes im Komplott zum Tode durch Enthauptung verurteilt; das Urteil wurde dann am 6. Juni im Hofe des Gefängnisses in Rottweil vollzogen. Die Anstifter Franz Boso und Battista Marcon bekamen eine Zuchthausstrafe von 22 Jahren, Therese Boso eine solche von 23 Jahren. Sie wurden schon am 6. Mai nach Gotteszell eingewiesen. Über den noch jugendlichen Antonio Boso wurde kein Urteil gefällt.

Die Zeitungen der damaligen Zeit haben sich des Falles in reichlichem Maße angenommen, und es kam zu einer achtseitigen Broschüre über die letzten Tage und Hinrichtung der Raubmörder, die man noch bis vor dem Ersten Weltkrieg in Tuttlinger Buchhandlungen kaufen konnte. Die schauerliche Begebenheit, die Gemeinheit des Mordes aus purer Geldgier haben einen so tiefen Eindruck hinterlassen, daß selbst jetzt nach hundertvierzig Jahren die Erinnerung lebendig ist. Der “Italienerplatz” hat seine grausige Geschichte. Kein “Marterl” erinnert an die böse Tat, aber der Schauer, der durch die Bevölkerung der ganzen Gegend vor so unglückseliger Untat ging, überdauerte das Jahrhundert.
 
 

HERMANN HUMMELt TUTTLINGEN:
Überfall auf Metzgermeister Hummel beim “Italienerplatz” am 7. 2. 1890

Mein Vater, der Metzgermeister Hummel, war am 7. Februar 1890 auf einem Viehmarkt in Engen. Dann ging er zu Fuß über Talmühle und Witthoh nach Hause. Er war von dem Marsch etwas ermüdet und kehrte auf dem Windegg in der Wirtschaft ein, um sich auch etwas zu erwärmen. Zu gleicher Zeit saß ein ihm unbekannter Mann auch in der Wirtschaft. Der Wirt fragte meinen Vater, wie der Markt verlaufen sei. Bald darauf verließ der Unbekannte die Wirtschaft. Nachdem sich mein Vater erwärmt hatte, trat er den Heimweg an und ging ahnungslos über den Witthoh der Heimat zu. Als er am sogenannten “Italienerwäldle” vorbeikam, sah er von weitem etwas ganz Finsteres an der Straße. Da es schon dunkel war, konnte er nicht unterscheiden, was es sei. Er vermutete, es sei bloß ein Gebüsch und ging ahnungslos weiter. Auf einmal sah er eine Gestalt auf sich zuspringen. Diese hatte einen Stock in der Hand und schlug auf ihn ein. Er zielte wohl auf den Kopf, schlug aber fehl und traf meinen Vater bloß auf die Achsel, faßte ihn dann am Hals, zerriß ihm den Kragen und das blaue Hemd. Mein Vater aber schwang auch seinen Stock und traf den Angreifer auf den Kopf, so daß er rücklings zu Boden fiel und laut schrie: “O mein Kopf!” Mein Vater fürchtete, daß noch jemand in der Nähe auf der Lauer sein könnte und sprang so schnell wie möglich Tuttlingen zu. Beim “Büchle” ging er vom Weg ab, lief querfeldein und kam beim “Lammkeller” (Schaffhauser Straße 23) auf dem Feldweg in die Schaffhauser Straße. Da er immer noch im Galopp war, riefen ihm die Leute nach: “Ja, wo brennt es, daß Ihr so springt?” Ich war gerade noch bei unseren zwei Metzgerburschen in unserem Laden Helfereistraße 13, wo die beiden noch bei ihrer Arbeit waren. Da sprang auf einmal mein Vater herein mit ganz zerrissenen Kleidern. Er konnte im Augenblick gar nicht sprechen und war ganz bleich. Die beiden Metzgerburschen fragten ihn gleich: “Meister, was ist denn Euch passiert?” Nach einer Weile sagte er: “Ich bin überfallen worden am Italienerwald, aber Gott sei Dank habe ich noch mein Geld!” Die beiden Metzger gingen sofort zum Landjäger und nahmen auch unseren Hund mit und eine Laterne. Dann gingen sie mit dem Landjäger an den Tatort, wo sie aber nur eine Blutlache fanden. Der Hund verfolgte wohl eine Zeit lang eine Spur, verlor sie aber dann. Da kehrten die beiden Metzger mit dem Hund zurück nach Hause, der Landjäger ging jedoch noch bis zum Windegg, von wo er aber auch ergebnislos heimkam.

Dieser Fall ist mir so genau in der Erinnerung geblieben, weil sechs Tage später mein 12. Geburtstag war.
 

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