LITERARISCHES

Unstreitig gehört der Witthoh zu den hervorragendsten Aussichtspunkten in der Umgebung von Tuttlingen, ja der ganzen Schwäbischen Alb. Voll Staunen steht der Wanderer still bei dem Blick, der sich ihm hier in die Ferne auftut. Otto Häcker hat Recht, wenn er sich in seiner vergleichenden Rundschau über die schönsten Aussichtspunkte der Schwäbischen Alb darüber wie folgt äußert:

“Wo in aller Welt findet man so leicht wieder eine Bruderschar solch sprechender, abenteuerlicher, phantastischer, frei in die Ebene hineingestellter Berggestalten, alle mit sagenumsponnenen Burgruinen gekrönt, alle von einander so grundverschieden und doch so trefflich zusammengestimmt. Nimmt man noch hinzu den sonstigen Ausputz der Landschaft: den herumlagernden Dienertroß kleinerer Hügel und Burgen, den bunten Teppich des dörferreichen, von den Flüßchen Aach und Biber durchschlängelten Talgrundes, den klaren Spiegel des nahen Bodensees mit der glänzenden Perlenschnur seiner Uferorte und endlich in weitem Halbrund die gewaltige Alpenkette wie ein Edelsteinrahmen um ein kostbares Gemälde, so haben wir ein Meisterstück deutscher Landschaft, wie es der einbildungsreichste Künstler sich nicht vollkommener zusammenträumen kann.”

Bewundernd läßt der Wanderer die Blicke schweifen und ergötzt sich an dem wunderbaren Bild. So ist es heute und so war es schon früher. Goethe hat sich im September 1797 auf einer Reise in die Schweiz über die herrliche Aussicht auf den Bodensee und nach den Bergen von Graubünden, den Hohentwiel usf. gefreut. Ausführlicher als Goethe hat sein Freund, der bekannte Augenarzt Jung-Stilling kurze Zeit darauf, im März 1801, als er auf einer Reise von Marburg nach Winterthur den Witthoh passierte, die Aussicht von dort geschildert Er schrieb darüber in seiner Lebensgeschichte: “Auf dem Wege von Tuttlingen nach Schaffhausen — wenn man nämlich über die Höhe fährt — gibt es einen Ort, von dem man eine Aussicht hat, die für einen Deutschen, der noch nie in der Schweiz war und Sinn für so etwas hat, erstaunlich ist. Man fährt von Tuttlingen aus allmählich die Höhe hinan und über diese hinaus bis vorn auf die Spitze; hier hat man nun folgenden Ausblick: Linkerhand gegen Südosten, etwa eine Stunde weit in gerader Linie, steht der Riesenfels mit seiner nunmehr zerstörten Ruine Hohentwiel, und rechterhand gegen Südwesten, ungefähr in derselben Entfernung, trotzt einem sein Bruder, ein ebenso hoher und starker Riese, mit seiner ebenfalls zerstörten Feste Hohenstaufen — der Postillion sagte: der hohe Stoffel — entgegen. Zwischen diesen beiden Seitenpfosten zeigt sich nun folgende Landschaft: Links, längs dem Hohentwiel hin, etwa drei Meilen weit, glänzt einem der Bodensee, weit und breit wie schmelzend Silber entgegen; an der Südseite desselben übersieht man das paradiesische Thurgau und jenseits die Graubündner Alpen; mehr rechts den Kanton Appenzell mit seinen Schneebergen, den Kanton Glarus mit seinen Riesengebirgen, besonders den über alle emporragenden Glärnisch, der hohe Säntis mit den sieben zackigen Kurfirsten liegt mehr östlich; so sieht man die ganze Reihe der Schneeberge bis in den Kanton Bern hinein, und man überblickt einen großen Teil der Schweiz. Wenn man die ganze Alpenkette längs dem Horizont hin liegen sieht, so kommt sie einem wie eine große Säge vor, mit der man den Planeten spalten könnte!”

Legt dieser Bericht besonderen Wert darauf, die Berge und Landschaften mit Namen zu nennen, so schildert der berühmte Landschaftsmaler und Radierer Joseph Anton Koch in seinem Reisetagebuch die Aussicht und die ihn umgebende Natur ungemein plastisch und farbenfreudig, wie eben nur ein Künstlerauge dies so erkennt und empfindet.

Joseph Anton Koch wurde am 27. Juli 1768 in Obergiblen bei Ebigenalp im oberen Lechtal geboren. Auf Verwendung eines Gönners, der durch eine Zeichnung des Schafe hütenden Jungen auf ihn aufmerksam geworden war, kam Koch zunächst auf das Seminar nach Dillingen, um sich hier auf den geistlichen Beruf vorzubereiten. Als es sich aber immer deutlicher erwies, daß die Malerei sein wahrer Beruf sei, kam er auf die berühmteste Schule der damaligen Zeit, auf die Hohe Karlsschule nach Stuttgart: Der militärische Zwang, der dort herrschte und die Behandlung, die ihm zuteil wurde, veranlaßten ihn zur Flucht im Jahre 1791. Er begab sich zunächst nach Straßburg und dann über die Schweiz nach Italien, wo er bald zu hohem Ansehen gelangte und wo er im Jahre 1839 starb.

Als er im Frühjahr 1791 von der Hohen Karlsschule aus eine Ferienreise an den Bodensee und den Rheinfall machte, führte ihn der Heimweg über Hilzingen nach Engen und dann wohl weiter über Talmühle und Biesendorf zum Witthoh, oder der Tuttlinger Heide, wie er den Südhang des Witthoh nennt. Dort entwarf er in seinem Reisetagebuch die nachstehende Schilderung:

“Wir kamen auf die nach Tuttlingen führende Landstraße durch eine mit wallendem Grün unterbrochene Ebene bis auf die Tuttlinger Heide. Hier ist der Weg steinig und geht bergauf. Alles Wachstum scheint hier aufzuhören. Kein Baum, keine Wohnung, kümmerlich auf der Erde kriechendes dürres Gras, rötlieb-gelbe Steine und Felstrümmer sind alles, was den hier von der brennenden Sonne durchsengten oft auseinandergerissenen Boden deckt. Kein murmelndes Bächlein oder sanft hemiederwallendes Grün oder sanfte Erdenbewohner machen diese Region zu einem angenehmen Aufenthalt. Dies ist kein Ort für innig sich Liebende, welche nur die gastfreundliche Natur erquicken kann. Kein singender Vogel oder sonst ein belebtes Geschöpf wählt diese Gegend zum Wirkungskreis ihrer Tätigkeit, selbst die Insekten scheinen dieses Bild des Todes zu fürchten, denn hier sah ich keines. Die kurze Zeit bis wir die Höhe des ziemlich erhabenen aber nur allmählich aufsteigenden Berges erreichten, wurde uns wegen der Uniformität der Eindrücke sehr langweilig.

Aber eben auf dieser Höhe überraschte mich ein unbeschreibliches Entzücken. Ich sah rückwärts und meine Augen verirrten auf einer Ausdehnung von wenigstens 50 Meilen. Vor mir lag die weit ausgedehnte Heide, nur einzelne stehende Bäume decken sparsam diesen großen Raum. Sie wird im Hintergrund von den von uns verlassenen schwarzen weitausgedehnten Tannenwäldern begrenzt. In dem Ungemessenen sahen wir die Berge nicht, welche wir auf- und niedergestiegen waren, nur dunkle Schatten ließen mich vermuten, wo sie liegen. In einer Entfernung von 4 Meilen hinter den dunkelgrünen ungeheuren Wäldern zeigte sich die blau und gelblicht-grünende Ebene, wo Hohentwiel, Hohenstoffeln, Hohenkrähen, der Mägdeberg und andere mit Vesten oder Burgen beladene oft pyramidenförmig gestaltete Berge sich erheben! Ihre in luftiges Grau gehüllten felsigten Abstürze und ihr schwarzbuschigtes Gewand kontrastieren mit dem Lieblichhellgrünen, dessen langgezogene gelblichte Streifen von der Sonne glänzend regelmäßige Formen bilden. Blaulichtes Grün deckt die luftigen Ebenen der Schweiz. Linien von glänzendem Weiß erstrecken sich auf denselben von Osten nach Westen ununterbrochen und mehrmals hintereinander wiederholt in unendlichen Regionen und erweitern also gleichsam verdoppelt das Perspektiv ins Ungemessene, bis der gelbliche Himmel mit der Erde sich zu vermischen scheint.

Da wo die Erde sich zu endigen scheint, am sehr weit entfernten südlichsten Horizont entdeckt man erhabene Wunder, welche man im Ganzen nirgends so wie hier überschauen kann. Von Osten gegen Westen so weit das Auge zu

reichen vermag, sieht man den ganzen südlichen Dunstkreis wie von tausend glänzenden, oft durch Wolken von der Erde getrennten erhabenen Körpern durchschnitten, deren kronenähnliche Häupter einen Teil des entfernten Himmels zu sein scheinen. Welcher Unbekannte sollte hierunter eine so unermeßliche Bergkette vermuten! Er würde nur staunen und vergebens raten. Ja es sind unermeßlich hoch und weitausgedehnte Alpen, starrend von ewigem Frost, beladen mit Eismassen, die durch himmeldurchdringende Felsen unterstützt sind. Diese, durch ein Wolkenmeer wie von der Erde getrennt, scheinen dem Himmel zu gebieten. Von hier aus entdeckt man nämlich die Schneegebirge von Savoyen, von der ganzen Schweiz, von Bünden, von Tirol, ja selbst die von Salzburg. Besonders vorteilhaft sieht man hier die Gletscher und die Gegend des Schreckhorns und des Gotthards. Hinter- und übereinander sieht man unzählige, an unaussprechlichem Glanz einander übertreffende Gipfel. Die mir zunächststehenden Berge Hohentwiel, Stoffeln, Krähen und Mägdeberg sahen nur wie kleine Hügel im Vergleich mit den hohen Alpen aus, obschon diese beschneiten Spitzen mehr denn 6mal weiter von diesen entfernt sind als letztere meinem Auge. Doch reichen ihre Spitzen weit über diese obgleich auch hohen Berge hinaus. Ein lichter glänzender Streifen von dem Bodensee scheint am Fuß der Alpen zu ruhen, obgleich diese mächtigen Gebirge noch weit von ihm entfernt sind. Zwischen dunklen Gebirgen sieht man einen andern Arm des Bodensees, nämlich den Überlinger See. Seine waldigen Bergufer gewähren einen sanftmelancholischen Anblick, der durch die schwarzblaue Farbe des Sees noch mehr verstärkt wird. Ebenso zeigte sich der wie Silber glänzende Zeller See zwischen grünblauen Bergen in luftiger Ferne. Erhaben ist der Anblick dieses großen Gewässers. Nun wand ich meine Augen gegen Aufgang der Sonne. Auch hier verloren sie sich in unermeßliche Fernen. Ganz Oberschwaben konnte ich überschauen, ja selbst noch das nachbarliche Bayern, das sich endlich mit dem Äther vermischt. Gegen Niedergang der Sonne sieht man einen Teil des Gebirgs Jura im Südwesten, und gegen Nordwesten erblickt man die mit schrecklichen Tannen bewachsenen Berge des Schwarzwaldes, welche damals oben zum Teil noch ganz mit Schnee bedeckt waren. Das schauerlich schwarze Dunkel der entfernten Wälder des Schwarzwaldes sticht ab mit dem glänzenden Weiß der Alpen. Diese auf allen Seiten ungeheure Aussicht wird nur allein gegen Norden durch den eben bestiegenen Berg, und den vor mir liegenden Schwarzwald begrenzt. Man sieht freilich auch hier in entfernte wildigte und grüne Täler, welche in einer ziemlichen Tiefe vor mir lagen und mir traurige Ideen erweckten. Wenn der weit entfernte Jura und der Schwarzwald die Aussicht nicht hemmten, so würde ich weit nach Frankreich hinein gesehen haben.”

So verschiedenartig auch die zwei Berichte sind, so spiegeln sie doch alle beide das unbeschreibliche Entzücken wider, das jeden Besucher ergreift beim Blick auf den Höhgau und auf die schneebedeckten Häupter der Alpen.

EMIL KOCH t TUTTLINGEN
 

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