Von der Witthohstraße

Wer kennt nicht den “Witthoh ob Tuttlingen”. Es ist die Höhe, von der ein viel gereister und viel gewanderter Heimatfreund einmal schrieb, man glaube sich hier an den Rand des Paradieses versetzt, und der dann fortfährt: “zum geschlossenen Prachtgemälde vereinigt liegen hier vor den Augen des Beschauers alle Reize der Hegaulandschaft, die zu den hervorragendsten Gegenden ganz Deutschlands zählen”. Hier steht vor uns auf der massige Hohenhöwen, der langumkämpfte und nun vor dem Abbruch gerettete Hohenstoffeln, der spukhaft steile Felsturm des Hohenkrähen und der durch Dichtung und Sage und durch die Mannestreue eines Konrad Widerholt verklärte Hohentwiel. Wir sehen hier den klaren Spiegel des nahen Bodensees, und wenn die Sicht uns günstig ist, die schneebedeckten Häupter der Alpen von der Zugspitze bis zur Jungfrau.

Über diese aussichtsreiche Höhe führt ein uralter, nun aber längst verlassener Verkehrsweg, der wohl schon vor der Zeitenwende begangen worden ist. Es ist die uralte Straße, die vom Herzen Württembergs nach Schaffhausen führte und in Württemberg die “Schweizerstraße”, im Hegau und in Schaffhausen die “Cannstatter Straße” genannt wurde; es ist jedoch nachgewiesenermaßen keine Römerstraße. Man würde das an ihrem Bau erkennen. Der Weg über den Witthoh wurde schon benützt, bevor die Römer zu uns ins Land kamen. Als wichtige Poststraße wurde sie vom württembergischen Staat unterhalten und ausgebaut. Deshalb verläuft sie parallel zur alten Landesgrenze Württemberg und Baden. Gar mancher Wagen ist im Laufe der Jahrhunderte auf dieser Straße gefahren, gar mancher Wanderer auf ihr dahingeschritten, und gar viel könnte sie berichten, wenn sie sprechen könnte. Goethe ist sie gezogen, als er im Jahre 1797 über die Schweiz nach Italien reiste. In seinen Reiseberichten berichtet er eingehend darüber. Doch auch schreckliche Taten geschahen auf diesem Weg. Davon berichten wir an anderer Stelle.

Dieser alte Verkehrsweg war an manchen Stellen nur schwer befahrbar. Goethe berichtet in seinem Reisebrief vom 16. September 1797 von einer Stelle in der Balinger Gegend, die so steil war, daß “vor einigen Jahren der Postwagen hinunterrutschte”. Auch die Steige zum Witthoh war sehr steil und daher nur sehr schwer zu befahren. Dem nur halb beladenen Wagen mußten zwölf und mehr Pferde vorgespannt werden. Bei der “Wagenstelle” oberhalb des “Radschuh”, da, wo der Weg wieder eben wird, wurde dann Halt gemacht und der Wagen mit der 2. Hälfte der Fracht, die auf einem andern Wagen nachgeführt worden war, vollends beladen und weiter ging die Fahrt. An der Straße, welche die Fuhrleute auf ihrer Fahrt durch Tuttlingen benutzen mußten, reihte sich Gasthaus an Gasthaus, und Sattler, Wagner und Schmiede hatten hier ihre Werkstätten. Auch gab es Pferdebesitzer, die Vorspann leisteten, weshalb heute noch der Übername Spanner zu hören ist.

Ehe der Dampfwagen seine Herrschaft angetreten hatte, mußten die Handelswaren mit Pferdefuhrwerken befördert werden. Es gab nicht nur “Ulmer”, “Freiburger”, “Konstanzer Boten”, sondern auch Landfuhrhalter, die 100 Pferde “zwischen Hamburg und Venedig laufen” hatten, wie ein solcher aus der Göppinger Gegend bekannt ist. Der Posthalter von Stockach hatte noch im Jahre 1840 60 Pferde zu halten. In Rottweil war der Posthalter Platz, dem das Wort in den Mund gelegt wird: “Eine Gans ist ein dummer Vogel; eine ist für einen Mann zu wenig und zwei sind zu viel für einen Mann”. Dieser Posthalter Platz hatte eine Vorliebe für falbe Pferde. Deshalb hielt er nur solche; in seinen Stallungen standen 48 Falben. — In Tuttlingen heißt man den Güterbeförderer heute noch “Schauber”, seine Wagen “Schauberwagen”, seine starken Pferde “Schauberpferde” und seine Knechte “Schauberknechte”. Mit dem Übernamen “Schauber” bezeichnet man die Familie Kaufmann, in der sich die Fuhrhalterei immer vom Vater auf den Sohn vererbte. Der erste dieser Fuhrhalterfamilie war der im Jahre 1718 geborene Schwiegersohn des Reichsposthalters Johann Jakob Schaber. Ob nun Schauber eine Mißbildung des Namens Schaber ist, oder ob das Wort mit Schaub (Strohschaub) oder Schaube (Schoben), dein vor Kälte und Nässe schützenden Kleidungsstück zusammenhängt, lassen wir dahingestellt.

(Zur Erinnerung an diese ehrenwerten Landfuhrleute gibt es heute zwischen den Neubaublöcken am Hauptbahnhof einen “Schauberweg”.)

Der Tuttlinger “Schauber”, den seine Geschäftsverbindungen weit umher führten, war ein gar angesehener Mann. Es wird erzählt: “Als der Großherzog von Baden einmal im Kinzigtal in einem Gasthof Einkehr halten wollte, habe man ihm bedeutet, daß es nicht möglich sei, da der Schauber von Tuttlingen angesagt sei.” Wenn dies auch nicht so gewesen sein wird, so ist doch daraus, daß diese Erzählung entstehen konnte, zu ersehen, daß der Schauber ein angesehener Mann gewesen sein mußte.

Dieser alte, so mühselig zu befahrende Verkehrsweg hat längst seine Bedeutung verloren und ist an besonders schwierigen Stellen ganz aufgegeben worden. Mit dem immer weiteren Ausbau der Eisenbahnlinien, die andere, bequemere Wege suchten, ging die Landfuhrhalterei mehr und mehr zurück. Ode und verlassen liegt nun auch die einst so viel befahrene und begangene Straße über den Witthoh. Kein Rasseln der Wagen, kein Knarren der Räder, kein Wiehern der Pferde, kein Knallen der Peitsche ist mehr zu vernehmen. Nur der Wanderer zieht beschaulichen Sinnes seinen Weg dahin und freut sich der Schönheit seiner Heimat.

HERMANN STRENG TUTTLINGEN
  

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